Unternehmerin Melanie Rocksien-Riad fordert bei der Stralsunder OB-Wahl im Mai Alexander Badrow (CDU) heraus. Was hat sie vor? Der Rückkauf des Krankenhauses ist ihr eine „Herzensangelegenheit“. Im OZ-Interview spricht die Möbelhändlerin zudem darüber, wie sie aus der SPD austrat und dennoch von ihr nominiert wurde – und warum sie sich für die Ansiedlung von XXXLutz einsetzen würde.
Die Stadt soll von Krankenhausbetreiber Helios das Hanseklinikum zurückkaufen – mit diesem Vorschlag tritt Melanie Rocksien-Riad (44, parteilos) zur Stralsunder Oberbürgermeisterwahl im Mai an. 2004 verkaufte die Stadt es an die Damp Holding aus Schleswig-Holstein, 2012 übernahm Helios. Jährlich werden dort rund 50 000 Patienten behandelt. Der Vorstoß, das Haus zurückzukaufen, lässt gerade in Pandemiezeiten aufhorchen.
Warum soll die Stadt das Hanseklinikum erwerben?
Melanie Rocksien-Riad: Ein Krankenhaus gehört nicht in die Hände eines gewinnorientierten Unternehmens. Es dient dem Gemeinwohl. Dass die Stralsunder offensichtlich nicht richtig zufrieden sind mit ihrem Krankenhaus, ist der Weißen Liste zu entnehmen. In dieser Patientenbefragung schneidet Stralsund deutlich unter dem Durchschnitt ab.
Wie könnte ein Rückkauf ablaufen?
Wie er ganz konkret umgesetzt wird, kann ich noch nicht sagen. Aber ich stelle mir vor: Man spricht mit Experten – Personen, die bereits ein Krankenhaus rekommunalisiert haben – und entwickelt einen Plan. Auch die Landesregierung muss gefragt werden. Denn im Koalitionsvertrag steht, dass sie Initiativen unterstützen wird, die Krankenhäuser wieder unter kommunale Verantwortung stellen wollen.
Haben Sie schon mit Helios gesprochen?
Nein. Das kann ich erst, wenn ich ein Mandat dafür habe.
Was würde sich nach einem Rückkauf ändern?
Wenn ein Träger wie Helios eine Renditevorgabe macht, wird dieses Geld aus dem System genommen. Wird das Geld aber wieder ins Krankenhaus investiert, kann die Patientenversorgung verbessert werden. Oder nehmen Sie Bereiche wie Putzen oder Essen. Solche Aufgaben werden von externen Firmen übernommen. Letztlich ist eine private Klinik dafür nicht mehr verantwortlich. Das würde sich ändern. Ein Teil des Geldes würde in den kommunalen Haushalt fließen. Das wird man auch brauchen, um den Rückkauf des Krankenhauses zu finanzieren.
Der große Unterschied wäre, dass der Gewinn nicht dauerhaft abgeschöpft wird?
Genau, er wird reinvestiert. Damit legt man den Grundstein für eine völlig andere Sichtweise, wie man ein Krankenhaus betreiben soll. Es wäre wieder das Krankenhaus der Stralsunder.
Sauberkeit und Essensversorgung – solche Aufgaben würde doch auch die öffentliche Hand an private Firmen vergeben, oder?
Gucken Sie sich ein Krankenhaus an, das als gemeinnützige Gesellschaft geführt wird, etwa vom Deutschen Roten Kreuz. Mein Mann ist Ärztlicher Direktor der DRK-Klinik in Teterow. Das Haus behält alle Dienste in der eigenen Hand. In Sachen Qualität macht man sonst zu viele Tore auf. Dort wird selbst gekocht in einer eigenen Küche. Um ein Krankenhaus wirtschaftlich zu führen, braucht es eine gute Leitung und sicherlich eine kompetente kommunale Begleitung. Es benötigt vor allem auch einen Geschäftsführer und einen Ärztlichen Direktor. Personen, die wissen, wie man ein Krankenhaus führt.
Diese Leute müssten extern besorgt werden?
Das muss man machen.
Wird dann zufälligerweise Ihr Mann Ärztlicher Direktor in Stralsund?
Dann würde ich ja so weitermachen, wie manch ein anderer bisher (lacht). Nein, mein Mann hat einen ganz tollen Job in Teterow und bleibt da auch.
Bürgerbefragung zum Krankenhaus-Rückkauf geplant
Ihr Vorhaben steht und fällt aber damit, ob Helios bereit ist, zu verkaufen.
Als Unternehmerin weiß ich: Wer dicke Bretter bohren will, muss irgendwann damit anfangen. Die Ministerpräsidentin hat eindeutig gesagt, dass sie die Rekommunalisierung von Krankenhäusern sieht. Dadurch wird bereits ein gewisser Druck aufgebaut. Wenn ich gewählt werde, habe ich sieben Jahre Zeit. Der Plan ist auch, die Bürger zu befragen, ob sie ihr Krankenhaus zurückwollen.
Ist das Thema nicht zu komplex für eine Bürgerbefragung?
Ich denke nicht. Mich sprechen viele Menschen darauf an und sagen zu mir: Das ist mutig.
Wie viel müsste man für ein Krankenhaus auf den Tisch legen?
Da gibt es Schätzungen von Leuten, die tiefer in der Materie sind als ich. Noch ist nicht der Zeitpunkt gekommen, um über Geld zu reden.
Sie werden von SPD und Grünen unterstützt. Kommt das Thema aus einer Partei oder von Ihnen?
Es ist mein Herzensprojekt.
Warum?
Das kam aus dem persönlichen Kontext heraus. Ich selbst war einmal in einem Helios-Krankenhaus in Hamburg und fand es ehrlich gesagt etwas schwierig. Außerdem bin ich überzeugt, dass Krankenhäuser nicht in Hände von Menschen gehören, die das Geld da rausnehmen wollen.
Soll das Thema ein Schwerpunkt werden im Wahlkampf?
Ich mache keinen Wahlkampf. Ich will den Bürgerinnen und Bürgern Angebote machen, von denen ich mir vorstellen kann, dass wir sie in den nächsten Jahren gemeinsam umsetzen. Das Wort Kampf ist nicht meine Vokabel.
Welche Angebote wollen Sie noch machen?
Ich will den Menschen eine Stimme geben und hören, was sie bewegt. Sie sollen in die Prozesse einbezogen werden. Dazu gehören zum Beispiel Stadtteil-Beiräte, denen man ein kleines Budget geben kann, damit sie im Viertel etwas bewegen. Es geht mir um den sozialen Zusammenhalt. Außerdem ist die Wirtschaftsförderung wichtig. So, wie sie aktuell gestaltet wird, finde ich es nicht in Ordnung. Wir brauchen mehr Kooperationen mit den Nachbargemeinden. Wenn sich eine Firma in Parow ansiedeln will, finde ich das als Stralsunderin total super, weil die Beschäftigten vermutlich hier wohnen und einkaufen.
Stadt-Mitarbeiter sollen „noch mehr Spaß an der Arbeit“ haben
Was wollen Sie anders machen als der Amtsinhaber?
Als Unternehmerin lege ich einen kooperativen Führungsstil an den Tag. Innerhalb meiner Firma haben wir flache Hierarchien. Ich finde die Frage spannend, wie eine Verwaltung besser aktiviert werden kann, sodass die Mitarbeiter noch mehr Spaß an der Arbeit haben.
Sie wohnen in Greifswald, haben dort auch ein Möbelgeschäft. Wäre es nicht nahe- liegender, in Greifswald zu kandidieren? Der dortige OB Stefan Fassbinder von den Grünen steht Ihnen womöglich politisch näher, aber immerhin müssten Sie bei einem Wahlerfolg nicht umziehen.
Ich bin seit 16 Jahren Unternehmerin in Stralsund. In der Stadt ist meine wichtigste Firmen-Filiale. Im Herzen bin ich schon ganz lange hier. Für mich sind Stralsund und Greifswald ein gemeinsames Oberzentrum. Es gibt für das Stadtoberhaupt zwar keine Residenzpflicht, aber es geht ja nicht anders: Sie müssen in der Stadt wohnen, in der Sie Oberbürgermeisterin sind. Wenn sich eine gute Gelegenheit ergibt, würden meine Familie und ich uns jetzt schon dem Thema widmen.
Würden Sie, unabhängig vom Wahlausgang, nach Stralsund ziehen?
Dann müsste es schon wirklich gut passen, weil wir ein sehr schönes Haus in Greifswald haben. Aber wenn es passt, dann machen wir es.
Sie haben eine Familie mit vier Kindern, führen ein Unternehmen mit vier Möbelhäusern. Warum wollen Sie sich den Job als Oberbürgermeisterin antun?
Ich komme aus verschiedenen Leben. Zunächst ist es ein sehr politisches gewesen. Dann bin ich 2005 ins Familienunternehmen eingestiegen. In mir trage ich den tiefen Wunsch, etwas zu verändern. Ich finde es wahnsinnig spannend, in einer Stadt etwas gestalten zu dürfen.
Was hat Ihr politisches Leben ausgemacht?
Ich war jahrelang im Bundesvorstand der Arbeiterwohlfahrt und lange SPD-Mitglied. Anfang des vergangenen Jahres war ich gerade frisch ausgetreten, als mich die Partei gefragt hat, ob ich kandidieren möchte.
Warum sind Sie ausgetreten?
Ich habe lange gehadert mit der Partei. Es war nicht mehr die SPD, in die ich 1997 wegen Gerhard Schröder eingetreten bin. Als sozialdemokratische Unternehmerin habe ich mich im Laufe der Jahre in der Partei immer weniger zu Hause gefühlt. Insbesondere mit den Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans war ich nicht glücklich. Ausschlaggebend war auch die Corona-Politik des Landes.
Sie treten aus und die Partei stellt Sie anschließend als OB-Kandidatin auf?
Das ist ein Ritterschlag (lacht). Der Austritt hat nichts mit der Nominierung der SPD in Stralsund zu tun. Kommunalpolitik sollte im besten Fall parteiunabhängig sein. Es geht darum, für die Stadt das Beste zu erreichen. Nach einer erfolgreichen OB-Wahl wird es viele gemeinsame Anstrengungen und überparteiliche Einigungen brauchen, um etwas erreichen zu können.
Reizthema XXXLutz-Ansiedlung
Würden Sie als Oberbürgermeisterin Ihr Unternehmen weiterführen?
Nein. Das dürfte ich auch gar nicht. Ich würde es in familiäre Hände geben. Es ist gut aufgestellt.
Als OB würden Sie es auch mit der Ansiedlung des Möbelriesen XXXLutz zu tun haben. Sie müssten Dinge durchsetzen, die Ihnen möglicherweise privat nicht passen.
Ich habe das getan, was eine Unternehmerin tun muss, wenn sie eine Bedrohung spürt – ich habe versucht, mich dagegen zu wehren. Dann gab es eine Entscheidung der Bürgerschaft. Die ist knapp so ausgegangen, wie sie ausgegangen ist (pro Ansiedlung – Anm. d. Red.). Als Demokratin akzeptiere ich das Votum. Dann habe ich wieder das gemacht, was eine Unternehmerin machen muss – den eigenen Laden so aufstellen, dass er für die Zukunft gewappnet ist. Auch mit einem XXXLutz als Nachbarn wie etwa in Neubrandenburg. Diese Ansiedlung finde ich aber nach wie vor nicht sinnvoll. Die Dimension ist zu groß. Ich sehe das nicht als die Zukunft und ich sehe den Markt dafür nicht.
Dennoch würden Sie sich als Oberbürgermeisterin dafür einsetzen, dass die Ansiedlung gelingt?
Natürlich. Die Entscheidung ist ja bereits gefallen. Mir ist es zu langweilig zu hören, ich würde mich nur zur Wahl stellen, um die Ansiedlung zu verhindern (lacht). Entschuldigung, aber das wäre doch ganz schön viel Aufwand.
Stichwort Weiße Liste
Für die Weiße Listebitten die Krankenkassen AOK, Barmer und KKH mehrmals im Jahr Personen, die mehr als eine Nacht in einem deutschen Krankenhaus verbracht haben, mittels Fragebogen um ihre Meinung. Die jüngste Auswertung fürs Hanseklinikum Stralsund umfasst 600 Bögen. Weiterempfehlung: 74 Prozent, Zufriedenheit mit ärztlicher Versorgung: 81 Prozent, Zufriedenheit mit Organisation und Service: 74 Prozent. All diese Werte sind unterdurchschnittlich. Einzig bei der Zufriedenheit mit der pflegerischen Betreuung (81 Prozent) wird ein mittlerer Wert erreicht.
Vita
Melanie Rocksien-Riad (geb. 1977) stammt aus Herford (NRW) und zog mit der Familie nach Zinnowitz, wo ihr Vater 1990 ein Möbelgeschäft eröffnete. Nach der Schule ging sie zurück, absolvierte eine Lehre als Industriekauffrau und legte das Abitur ab. Sie arbeitete als Referentin für den SPD-Bundestagsabgeordneten Rainer Wend und brach ihr Studium 2002 ab, als dieser sie fragte, ob sie in Berlin seine Büroleiterin werden wolle. Drei Jahre später kam sie zurück nach Vorpommern, unterstützte ihren Vater in der Firma und übernahm 2014 die Leitung. Interliving MMZ (rund 100 Angestellte) hat Filialen in Greifswald, Stralsund, Wolgast und Neubrandenburg.
Von Kai Lachmann
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