Stralsunder zur Insolvenz der MV Werften: „Das ist ein Kahlschlag für die ganze Region“
Am Montagvormittag wurden die schlimmsten Befürchtungen der Schiffbauer in Stralsund, Warnemünde und Wismar Realität: Genting hat für alle drei Standorte der MV Werften Insolvenz angemeldet. Viele Stralsunder sind enttäuscht, wir fragten nach.
Stralsund
Gehofft, gebangt und jetzt doch maßlos enttäuscht: Die Stralsunder Werftarbeiter mussten am Montagvormittag die bittere Pille schlucken, dass die MV-Werften Insolvenz angemeldet haben.
Die Verhandlungen zwischen Werft-Betreiber, Bund und Land am Wochenende hatten keine Ergebnisse gebracht. Somit blieb nur der Weg zum Amtsgericht. Nur so bekommen die Mitarbeiter, darunter auch die noch verbliebenen 230 Stralsunder, ihren noch ausstehenden Lohn, nun allerdings in Form des Insolvenzgeldes.
Arbeiter warten auf Löhne
Die Insolvenz lag in der Luft, hatte sich dieser drastische Schritt doch in den vergangenen Tagen angedeutet, weil die Verhandlungen mit dem Bund über einen weiteren Millionen-Kredit festgefahren waren und am Freitag die Löhne der rund 2000 Beschäftigten an den drei Standorten in Rostock, Wismar und Stralsund nicht ausgezahlt werden konnten (die OZ berichtete).
Was sagen die Stralsunder dazu, dass „ihre Werft“ pleite ist? Waren und sind doch viele Familien seit Gründung der Volkswerft 1948 eng mit diesem Unternehmen, das einst Tausende Mitarbeiter zählte, verbunden.
„Keine große Überraschung“
Werner Friese war sogar selbst lange Zeit auf der Werft beschäftigt. „Leider ist das keine große Überraschung“, sagt der 83-Jährige zum Insolvenzantrag. Dennoch sei es richtig, dass der Staat nicht weiter in die Rettung der Werften investiere. „Die Bemühungen der Stadt, dass die Werft zu einem maritimen Gewerbepark umgebaut wird, begrüße ich sehr“, sagt Friese – denn dann könnte man einige Mitarbeiter halten.
Die Befürchtung, dass nun viele Werftenmitarbeiter keinen Job mehr finden, vor allem in der Region, hat auch Maik Bleidorn. „Es ist einfach tragisch. Nun kommt es zum absoluten Kahlschlag für die Region und die Mitarbeiter.“ Jedoch, so sagt er weiter, sei diese Tragödie abzusehen gewesen.
So sieht das auch Elke Unger. „Es wird langsam Zeit, dass das lange Hoffen und Bangen der Werftmitarbeiter ein Ende hat.“ Sie ist trotz der Tragik zuversichtlich, dass es wieder bergauf geht und alle eine neue Arbeit finden. Den Arbeitern an den Standorten wünscht sie alles Gute und dass sie ihr Gehalt noch bekommen. „Es hat keinen Zweck, das Unternehmen weiter staatlich zu fördern, wenn es doch nichts bringt.“
Das sieht Andrea Kühl ähnlich. „Es tut mir in der Seele weh. Stralsund hat sich mit dem Schiffbau in der Welt einen Namen gemacht und war lange Zeit das Standbein der Stadt. Aber es war nun zu erahnen“, sagt die Stralsunderin.
Hier weiter Geld zu investieren, davon hält sie nichts. „Man kann nicht immer weiter reinstecken, um etwas auf Teufel komm raus am Leben zu halten. Dann wären wir in einigen Monaten wieder in der gleichen Situation. Dann lieber ein Ende mit Schrecken und sich stattdessen neuen Ideen öffnen, die der Oberbürgermeister ja auch schon in der Tasche hat. Auch wenn die jetzige Situation natürlich traurig ist.“
„Man hat es kommen sehen“
Geld vom Staat für die Werften würde eine Frau, die anonym bleiben möchte, nicht per se ablehnen. „Aber sie sollten nicht zur Rettung des Unternehmens eingesetzt werden, sondern zur Absicherung der Leute vor Ort.“
Denn eines wird deutlich bei Gesprächen mit den Anwohnern: Dass es irgendwann soweit kommt, dass die Werftstandorte schließen müssen, sei seit einigen Jahren absehbar gewesen. Für Stralsund habe die Werft aber eine besondere Bedeutung, vor allem machen sich viele Leute Sorgen um diejenigen, die durch die Insolvenz ihren Job verlieren. Es sei absolut nicht in Ordnung, dass sich ein Unternehmen aus dem Ausland die Gelder einheimst und staatliche Mittel zur Verfügung gestellt bekommt, beklagt ein Stralsunder.
Ähnlich kritisch sieht es Gerhild Bartsch, die meint, dass schon vorher die Reißleine hätte gezogen werden müssen. „Man hat es kommen sehen“, sagt die Stralsunderin. Das Aus für die Werft an sich sieht sie aber noch nicht. Auch die 83-Jährige könnte sich mit dem Vorschlag des Oberbürgermeisters Alexander Badrow anfreunden und: „Vielleicht kann man auf der Werft Solarboote bauen“, schlägt sie vor.
Idee vom maritimen Gewerbepark als Neuanfang?
Der Chef im Stralsunder Rathaus hatte bereits im März 2021, nachdem Genting klar gesagt habe, dass Stralsund als Produktionsstandort nicht mehr in Frage kommt, der Bürgerschaft den Vorschlag unterbreitet, das Werftareal zu kaufen und die Flächen dann an maritime Unternehmen zu verpachten.
„So behalten wir die Kontrolle“, hatte Oberbürgermeister Alexander Badrow (CDU) immer wieder betont. Die Bürgerschaft konnte sich mit der Idee anfreunden und hat mehrere Millionen Euro dafür bereitgestellt.
Inzwischen hat sich mit Nordic Yards ein innovativer Partner für die Entwicklung des maritimen Gewerbegebietes angeboten (die OZ berichtete). Die deutsche Firma, deren Gesellschafter der russische Unternehmer Vitaly Yusufov ist, hat bereits von 2009 bis 2016 in MV Spezialschiffe für den arktischen Einsatz, Fähren oder Konverter-Plattformen gebaut. Danach veräußerte man die Werftstandorte Stralsund, Wismar und Rostock jedoch an Genting. Nun will man Stralsund und auch Rostock zurück.
MV Werften zahlen keine Löhne – Schwesig: „Nicht akzeptabel“
Der größte Schiffbauer Mecklenburg-Vorpommerns rutscht immer tiefer in die Krise. Geld sei zwar da – aber nicht, um die Arbeiter zu bezahlen? Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) kritisiert dies scharf. Konzern-Mutter Genting hat den Handel seiner Aktie an der Börse ausgesetzt.
Wismar/Schwerin/Berlin
Schocknachricht für rund 2000 Beschäftigten auf den MV Werften: Die am Freitag fälligen Dezember-Löhne von sieben bis acht Millionen Euro konnten nicht ausgezahlt werden. Werften-Boss Carsten Haake hat darüber die Belegschaft informiert.
Das Unternehmen verfüge zwar über 30 Millionen Euro, könne aber „wegen der Rahmenbedingungen“ Löhne derzeit nicht auszahlen, so Haake. Er setze darauf, dass dies kommende Woche geschehe, und verweist auf ein Spitzentreffen in der Politik. Aus der Landespolitik hört man dagegen immer öfter das Wort Insolvenz.
Bund und Land fordern einen Beitrag der Genting-Eigentümer
Die Nachricht schlug in MV ein wie eine Bombe. Seit Monaten verhandeln Bund und Land mit den MV Werften und Mutter-Konzern Genting über einen Rettungsplan. Denn Genting fehlen aktuell rund 130 Millionen Euro. Offiziell. Genting beansprucht die Staatshilfe für sich selbst – die MV Werften aber haben nach Aussagen aus der Politik selbst ein großes Liquiditätsproblem.
Der asiatische Konzern ist offenbar schwer angeschlagen, hat am Freitag seinen Handel an der Börse in Hongkong ausgesetzt. Das Kreuzfahrtgeschäft des Konzerns war im Zuge der Corona-Pandemie unter Druck geraten.
Bund und Land machen Druck, wollen mehr Einsatz von Genting. Am Abend soll es ein Gespräch zwischen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gegeben haben. Nicht das erste, wie zu hören ist. Dazu bisher Schweigen aus der Schweriner Staatskanzlei.
OZ-Umfrage: Sollen die MV Werften gerettet werden?
Der Bund bleibt hart: Er fordert nach OZ-Informationen von Genting 60 Millionen Euro, wenn er selbst 600 Millionen beisteuere. Das zu 70 Prozent fertige Schiff „Global Dream“ soll als Sicherheit verwendet werden. Claudia Müller (Grüne), maritime Koordinatorin der Bundesregierung, erklärt: „Es liegt nun an den Eigentümern, ihren Beitrag zur Rettung der MV Werften zu leisten. Diesen Beitrag bleiben die Eigentümer aktuell leider schuldig.“
Schwesig: Gespräche mit der Bundesregierung
Schwesig verschärft den Ton gegenüber Genting. Die aktuelle Situation auf den Werften bewegt mich sehr. Dass die Löhne nicht ausgezahlt werden, ist inakzeptabel“, sagt sie. Daher habe sie das Thema am Freitag im Gespräch mit der Bundesregierung angesprochen. „Bund und Land stehen bereit, zu helfen, aber auch der Eigentümer muss einen substanziellen Beitrag leisten.“ Genting verklagt das Land parallel auf die Auszahlung von 78 Millionen Euro.
Mit der Nicht-Auszahlung der Löhne ist ein kritischer Punkt erreicht. Die Reaktionen sind verschieden. „Das ist eine Scheiß-Nachricht“, sagt Stefan Schad von der IG Metall deutlich. „Vertrösten auf Montag hilft den Leuten auch nicht. Wenn sich Politik und Genting nicht einigen, fehlt mir die Fantasie, wie es weitergehen kann.“
Ines Scheel, Chefin des Betriebsrates der MV Werften, sagt dagegen in Richtung Politik: „Wir haben gezeigt, dass wir Schiffe bauen können, und wir verstehen nicht, dass die Mittel dafür nicht bereitgestellt werden.“
Drohende Insolvenz: „Die Beschäftigten der MV Werften sind die Leidtragenden“
Die MV Werften zahlen keine Löhne und verweisen auf die Politik, Bund und Land warten auf den Mutter-Konzern Genting für ein Signal, bevor sie Geld auszahlen. „Beschämend“ und „inakzeptabel“ heißt es unter anderem aus der Politik zu den Entwicklungen beim größten Schiffbauer des Landes.
Wismar/Stralsund/Rostock
Frust bei den Schiffbauern in MV, nachdem die MV Werften am Freitagmittag bekannt gegeben haben, dass sie fällige Löhne für Dezember nicht auszahlen können. Nächste Woche solle es Geld geben. „Entweder von der Werft oder jemand anderem.“
Was für eine Aussage, die da kreist. Werften-Boss Carsten Haake tritt vor Journalisten und erklärt: „Wir werden abwarten, wie sich die weitere Entwicklung übers Wochenende zeigt.“ Geld sei da, die Information fehlender Liquidität falsch. Aber: Politik müsse aber handeln, so die Botschaft.
Werftarbeiter zwischen Hoffnung und Resignation
„Die Stimmung und der Glaube, dass es weitergeht, hat sich verschlechtert“, sagt ein Werftler. Ein anderer meint, er rechne wohl eher mit Insolvenzgeld als Lohn. „Das ist wie ein Sterben auf Raten“, erklärt ein Dritter. Stralsunds Oberbürgermeister Alexander Badrow (CDU) ist gedanklich schon in der Zukunft nach Genting: Die Stadt kaufe das Werftareal. „Mit den Flächen behalten wir die Kontrolle.“ Im Gespräch: ein maritimes Gewerbegebiet.
Bei der IG Metall schwindet die Hoffnung auf Rettung der Jobs bei den MV Werften. „Die Beschäftigten sind die größten Verlierer in diesem unsäglichen Verhandlungspoker. Nach Monaten der Unsicherheit und der Sorge um den Arbeitsplatz müssen sie jetzt auch noch auf ihr Geld warten“, sagt Bezirksleiter Daniel Friedrich. Gegenseitige Schuldzuweisungen von Regierungen und Genting würden nicht weiterhelfen.
Bundesregierung: Genting-Eigentümer müssen endlich handeln
Deutliche Worte findet Claudia Müller (Grüne), maritime Koordinatorin der Bundesregierung. Bereits vor Weihnachten sei Genting und seinem Eigner ein Paket vorgelegt worden. Dass die Eigentümer bisher nicht bereit seien, selbst mehr Geld zur Rettung der Werften beizusteuern, sei „sehr enttäuschend, denn die Leidtragenden sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“ Udo Philipp (Grüne), Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, findet ähnlich Worte: Die Eigentümer müssten „ebenfalls einen angemessenen Beitrag leisten.“
Die Landesregierung hält sich nach der schlechten Nachricht noch bedeckt. Hinter den Kulissen werde weiter verhandelt, ist zu hören. „Das ist gegenwärtig eine untragbar bittere Situation für die Beschäftigten vor Ort“, erklärt Finanzminister Heiko Geue (SPD). Die Geschehnisse des Tages zeigten erneut, wie ernst die Lage sei. Geue wiederholt seine Botschaft: „Die Landesregierung setzt sich für den Weiterbau der Global 1 und somit vor allem für den Erhalt der Arbeitsplätze ein.“ Aber der Eigentümer müsse sich bewegen. „Wir brauchen ein deutliches Signal, dass der Investor an die Zukunft des Kreuzfahrtschiffbaus glaubt.“ Gemeint ist Tan Sri Lim, Inhaber vom Konzern Genting Hongkong.
Genting helfen, aber „die Werften den Bach runtergehen lassen“?
Was Geue nicht sagt, steht in internen Nachrichten der Regierung: Man könne doch nicht Geld an den Konzern Genting auszahlen, aber zulassen, „dass die MV Werften den Bach runtergehen.“ Am Montag ist nach OZ-Informationen eine Sondersitzung des Finanzausschusses im Landtag geplant.
OZ-Kommentar zur Rettung der MV Werften: Das Maß ist voll
Im Landtag prallen kontroverse Positionen aufeinander. „Angesichts der dramatisch zugespitzten Situation erwarte ich, dass die Landesregierung den Werft-Angestellten jetzt endlich die Wahrheit sagt: Genting ist am Ende, die Insolvenz nur noch eine Frage der Zeit“, erklärt Nikolaus Kramer (AfD). Harald Terpe (Grüne) dagegen erklärt: „Das Verhalten von Genting ist beschämend. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sehr gute Arbeit geleistet, und es ist inakzeptabel, dass der Konzern nun beschlossen hat, keine Löhne auszuzahlen.“ Die CDU will lieber nichts sagen.
Ines Scheel, Betriebsratsvorsitzende der MV Werften, gibt sich weiter optimistisch: „Das Geld wird nächste Woche gezahlt – in welcher Form auch immer.“
Rettung der MV Werften: Das Maß ist voll
Die MV Werften zahlen Löhne nicht aus, Mutter-Konzern Genting will oder kann kein weiteres Geld vorstrecken. Warum soll es dann der Staat tun? Es ist Zeit, andere Lösungen für die Beschäftigten zu finden, kommentiert OZ-Chefreporter Frank Pubantz.
Wismar
Das Auf und Ab von Werften, das Leiden und Hoffen dabei – das gehört seit 30 Jahren irgendwie zu diesem Bundesland. Im Falle Genting Hongkong ist das Maß voll. Seit fast zwei Jahren gibt es Rettungsversuche. Das Interesse der Menschen hier, der Landes- und Bundesregierungen gilt dem Erhalt attraktiver, gut bezahlter Arbeitsplätze im Herzen der maritimen Wirtschaft, wie es so schon heißt. Nun können oder wollen die MV Werften keine Löhne mehr zahlen, verweisen auf kommende Woche. Irgendwas müsse da geschehen. Offensichtlich soll so der Druck auf die Politik erhöht werden. Das ist unfair.
Die Politik fordert ein Bekenntnis der Genting-Inhaber. 60 Millionen sollen kommen, dem stehen 600 Millionen frisches Geld vom Bund und 78 Millionen vom Land gegenüber. Verständlich, dass die Regierungen eine rote Linie ziehen. Wenn ein Eigentümer nicht mehr an sein Projekt glaubt – warum soll es die Gemeinschaft tun? Es ist nicht Aufgabe des Staates, Insolvenzen zu verhindern. Auch anderes ist wichtig.
Die Beschäftigten verdienen Hochachtung und Mitgefühl, dass sie, solange durchgehalten haben. Für sie müssen Lösungen her. Mit Nordic Yards steht eine Option bereit.
Stralsunder zur MV-Werften-Krise: „Lieber ein Ende mit Schrecken...“
Erstmals seit der Werften-Übernahme kann Genting die Löhne und Gehälter der Werftarbeiter an allen drei Standorten der MV Werften nicht bezahlen. Der Anfang vom Ende oder kann die Insolvenz noch abgewendet werden, fragt die OZ Stralsunder aus Politik und Wirtschaft.
Stralsund
Die Lage bei den MV Werften spitzt sich dramatisch zu. Erst wurde am Freitagvormittag der Handel mit Aktien des Besitzers, dem asiatischen Genting-Konzern, an der Börse in Hongkong ausgesetzt, dann verkündete der Geschäftsführer Carsten Haake am Standort in Wismar, dass die fälligen Löhne nicht bezahlt werden können. Vorerst jedenfalls.
Alle hoffen nun auf einen Krisengipfel zwischen Bund, Land und der Geschäftsführung am Wochenende. Erst danach könnten Anfang der Woche auch die Stralsunder Schiffbauer den Lohn ihrer Arbeit kassieren.
Stralsunder Werftarbeiter in Wismar dabei
Viele der nur noch wenigen Stralsunder hatten sich am Freitag auf den Weg nach Wismar gemacht – und das Schlimmste vermutet: Die Insolvenz der Werftengruppe. Diese kann vermutlich nur noch durch ein umfangreiches Rettungspaket abgewendet werden. Der Niedergang droht – doch in Stralsund ist man darauf immerhin vorbereitet, besser noch als Wismar und Warnemünde. Die Stadt hatte vorgeschlagen, das Areal zu kaufen und zu einem maritimen Wirtschaftsstandort zu machen.
„Uns wurde gesagt: Wir bekommen nächste Woche unser Geld. Egal in welcher Form. Und das heißt für mich, das wir entweder Insolvenzgeld bekommen oder wir werden von den Landes- und Bundeshilfen bezahlt. Das sagt natürlich nichts darüber aus, wie es mit uns künftig weitergeht“, sagt ein Werftarbeiter aus der Konstruktion. Wie viele seiner Kollegen rechnet er mit dem Schlimmsten.
IG Metall: Situation ähnlich dramatisch wie vor P+S-Werften-Pleite
Unter den Werftarbeiter in Wismar befand sich auch der Stralsunder Guido Fröschke, der die Stralsunder Schiffbauer seit Jahren für die IG Metall Stralsund-Neubrandenburg betreut. „Im ersten Schritt hoffen alle, das Genting zahlungsfähig bleibt“, sagt er. „Insofern ist es eine gute Nachricht, dass alle Parteien wieder den Verhandlungstisch zurückkehren und auch bereit sind, an einer Lösung zu arbeiten.“ Fröschke hofft, dass die Hansestädter und deren Familien auch wirklich die Löhne ausgezahlt bekommen – denn die Leistung wurde ja bereits im Dezember erbracht.
In den nächsten Tagen könnte sich dann jedoch das Schicksal um die MV Werften entscheiden. Vor der Pleite der P+S Werften vor knapp zehn Jahren war die Lage ähnlich dramatisch. „Heute ist die Situation aber noch verworrener“, ordnet Fröschke ein. „Uns geht es jetzt erstmal um die Menschen vor Ort. Dafür kämpfen wir“, so der Gewerkschafter.
Landrat Kerth (SPD) hofft auf zukunftsfähiges Konzept
Vorpommern-Rügens Landrat Stefan Kerth (SPD) hofft, dass beim Krisengipfel ein „in der Zukunft tragendes Konzept herauskommt“. Gut aus seiner Sicht: „Neue Perspektiven für Stralsund bestehen bereits“, sagt er.
„Ein neues Denken des Geländes mit zukunftsträchtigen Arbeitsmodellen wird Investoren und somit auch neue Arbeitsplätze in unseren Landkreis bringen.“ Denn die gut bezahlten Industriearbeitsplätze in der Region seien rar.
„Mit dem Kauf der Flächen behalten wir als Stadt die Kontrolle“
Für eine Perspektive am Stralsunder Standort hatte sich schon vor Monaten Alexander Badrow (CDU) eingesetzt – aus guten Grund. „Genting hat ganz klar gesagt, dass Stralsund als Produktionsstandort für sie nicht mehr in Frage kommt“, sagt der Stralsunder Oberbürgermeister.
„Darum haben wir uns frühzeitig um eine Lösung bemüht. Mit dem Kauf der Flächen behalten wir als Stadt die Kontrolle über das Geschehen und können uns zusammen mit mehreren Unternehmen aus der maritimen Wirtschaft breit und flexibel aufstellen. Damit wird auch das Risiko auf mehrere Schultern verteilt“, ordnet er die Zukunftschancen ein.
OB-Kandidatin Rocksien-Riad sieht große Chancen – nach Genting
In Hinblick auf die Weiterentwicklung des Werftstandortes zu einem maritimen Gewerbepark sieht auch Melanie Rocksien-Riad, OB-Kandidatin von Grünen und SPD, Stralsund gut aufgestellt. „Damit wurde die Grundlage für den Erhalt dieses so wichtigen Industriestandortes geschaffen“, sagt sie. „Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Familien wäre ein Ende der Ära dieses wichtigen Standortes ein brutaler Einschnitt“, sagt sie weiter.
„Es braucht jetzt schnelle Lösungen, um den Menschen eine wirtschaftliche und persönliche Perspektive zu bieten. Ich sehe für Stralsund große Chancen. Dieser Standort ist prädestiniert für die Produktion von Komponenten im Bereich der erneuerbaren Energien.“ Auch zum Weiterbau der „Global One“ bezieht sie klare Position. „Es sind bis heute so viele Steuermittel in die Werften geflossen, dass es in einem geordneten Verfahren möglich sein muss, dass der Bau des Schiffes sicher zu stellen.“
Michael Philippen (BfS): Bloß keinen Schnellschuss
„Man hat in den letzten zwei Jahren doch gemerkt, dass Stralsund immer das letzte Rad am Wagen war. Und seit die ,Endeavor‚ weg ist, wurde es noch schlimmer. Ein einziges Trauerspiel ist das mit unserer Werft, seit Jahren schon. Vielleicht ist es ein Ende mit Schrecken jetzt doch besser als ein Schrecken ohne Ende“, sagt Michael Philippen. Der Chef der Bürgerschaftsfraktion Bürger für Stralsund kann sich einen Neuanfang auf der Werft vorstellen.
„Aber bloß keinen Schnellschuss, weil einer kommt, der sagt, er macht alles besser. Solche Schritte müssen gut überlegt sein, da muss ein vernünftiges Konzept her“, findet der Kommunalpolitiker. Der Abgeordnete, von Beruf Maler, steht hinter dem Kaufinteresse der Stadt. „Aber die Grundstücke zu haben, ist das Eine, wir müssen auch bedenken, dass das riesige Areal bewirtschaftet werden muss. Die Unterhaltungskosten sind keine Spielerei. Umso wichtiger ist, dass wir durch Pachtverträge Einnahmen haben.“ Das hinzubekommen, sei ein hartes Stück Arbeit.
Stralsunder Ingenieur fordert: „Keine weiteren Steuergelder“
Auch andere Stralsunder sind nicht für eine Rettung der MV Werften um jeden Preis. „Auf gar keinen Fall sollten weitere Steuergelder in dieses Unternehmen fließen“, sagt Jörg Schulz, Sicherheitsingenieur aus Stralsund. „Dann ist das Geld weg. Besser, das Werftgelände wird gleich in einen innovativen Produktionspark umgewandelt, wo alternative Treibstoffe wie Wasserstoff hergestellt werden.“
Ferienwohnungs-Vermieter Ralf Hoffmann, der auch an Werftarbeiter vermietet hat, sagt hingegen: „Ich fände es schade, wenn auf der Stralsunder Werft die Lichter ausgehen. Davon wären auch andere Bereiche betroffen wie Hotellerie und Gastronomie. Mir selbst würden Einnahmen für meine Ferienwohnungen verloren gehen.“
Nordic Yards interessiert an den Werften in Warnemünde und Stralsund
Das Unternehmen Nordic Yards will mit Offshore-Windkraft-Plattformen groß ins Geschäft einsteigen. Laut Geschäftsführerin Olga Scholtz könnten mittelfristig bis zu 1300 Jobs entstehen. Auch eine Kooperation mit Genting wäre weiterhin denkbar.
Wismar/Stralsund
Auch nach einem möglichen Aus der MV Werften könnte es an den Standorten Stralsund und Warnemünde weitergehen. Nordic Yards, bis 2016 Eigner der Werften, signalisiert seit längeren Interesse an einer Übernahme. Auf lange Sicht könnten an beiden Standorten zusammen bis zu 1300 Jobs entstehen, erklärte Geschäftsführerin Olga Scholtz am Freitag. Haupttätigkeitsfeld solle der Bau von Converter-Plattformen für den Offshore-Windkraftsektor sein.
Allein 950 Jobs wären am Ende in Warnemünde möglich. „Wir haben schon vor längerer Zeit ein Konzept an die MV Werften eingereicht“, so Scholtz. Die Idee sei gewesen, nebeneinander in der Werft zu produzieren. „Das Konzept sah ein Joint Venture vor.“ Leider habe es von den MV Werften „nie eine Rückmeldung gegeben“. Inhaber von Nordic Yards ist der Russe Witali Jussufow.
Idee: 950 Jobs in Warnemünde, 350 in Stralsund
Scholtz bekräftigt das Interesse von Nordic Yards, die Warnemünder Werft zu übernehmen. Ihr Unternehmen habe viele Anfragen von Energiekonzernen, die Plattformen brauchen. Die Aufträge gingen jetzt nach Spanien oder in die Vereinigten Arabischen Emirate, dabei habe Nordic Yards vorhandenes Know-how, dies in MV zu tun. Nach einer Konzeptionsphase könnten nach weiteren 1,5 bis zwei Jahren bis zu 950 Beschäftigte auf der Werft eingesetzt werden. Der Plan: der Bau von parallel zwei Plattformen. „Das hat mit der Dock-Kapazität zu tun“, so Scholtz.
In Stralsund sei Nordic Yards mit Verhandlungen deutlich weiter. Die MV Werften hätten Interesse bekundet. Die Stadt plant dort den Kauf des Werft-Areals für ein maritimes Gewerbegebiet. Nordic Yards könne sich dort Reparatur und Modernisierung von Schiffen vorstellen. Außerdem den Bau von Fundamenten für Converter-Plattformen. Zusammen wären hier mittelfristig dann bis zu 350 Beschäftigte möglich.
Scholtz: „Wir verlieren Zeit und Projekte“
Nordic Yards drängt. „Wir haben einen exzellenten Ruf und keine Schulden“, wirbt Scholtz für ihr Unternehmen. Am Markt sei die hohe Qualität der Plattformen, die einst in MV gebaut wurden bekannt. Das Geschäft mit Offshore-Plattformen boome durch die Energiewende. Aber Deutschland drohe den Anschluss zu verlieren. „Wir verlieren Zeit und Projekte“, so Scholtz. Schlecht wäre eine Insolvenz der MV Werften mit anschließender langatmiger Betreuung durch einen Insolvenzverwalter. „Ich fürchte, dass wir dann noch lange in Untätigkeit sitzen.“
OZ-Umfrage: Sollen die MV Werften gerettet werden?
Mit der Landesregierung habe Nordic Yards bereits diverse Gespräche geführt. Es wäre immer noch möglich, dass Genting und Nordic Yards „eine Koalition“ bilden, so Scholtz.
Darlehen, Bürgschaften, schnelles Geld: So hilft der Staat den MV Werften
Bund und Land sichern den Schiffbau auf den MV Werften bereits mit hohen Beträgen ab. Allein die Bürgschaften für das Schiff „Global Dream“ belaufen sich auf mehr als 400 Millionen Euro. Worum es beim Finanziellen genau geht – eine Übersicht.
Wismar/Schwerin
Die Ursachen für die finanzielle Schieflage von Genting und den Werften sind komplex. Immer wieder hat die Landesregierung betont, beide seien wegen der Corona-Pandemie und dem folgenden Zusammenbruch des Kreuzfahrtgeschäfts unverschuldet in die Krise geraten, wie andere Unternehmen auch.
Genting, ein Mischkonzern, verdient sein Geld primär mit Kreuzfahrt und Glücksspiel. Bereits 2020 gab es eine Hilfsaktion über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) des Bundes. Die 193 Millionen Euro Darlehen habe Genting aber zurückgezahlt. 2021 flossen noch einmal 300 Millionen Euro aus dem WSF.
Land und Genting streiten um 78 Millionen Euro
In der Folge habe sich die Wirtschaft aber nicht erholt. Der schlimmste Fall für Prognosen im Kreuzfahrtgeschäft sei sogar noch übertroffen worden, heißt es aus der Politik. Bereits im Sommer 2021 sei daher auch vereinbart worden, dass Genting in einer Schieflage weitere Hilfe erhalte. Dies sei eine Bedingung des Bundes gewesen. So komme es, dass das Land jetzt 78 Millionen Euro Darlehen auszahlen soll – zurzeit gibt es darum einen Rechtsstreit mit Genting vor Gericht.
Denn das Land wolle eine große, dauerhafte Lösung mit dem Bund, um möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten. Die heiße: weitere 300 Millionen aus dem WSF für den Schiffbau. Bis Februar müsse eine Einigung her. Der Bund wiederum verlangt mehr Sicherheiten von Genting. 60 Millionen sollen vom Gesellschafter aus Asien kommen. Genting sperre sich aber, verfüge nicht über genügend Liquidität. „Das wissen wir“, so ein hoher Regierungsmitarbeiter.
Der malaysische Konzern ist also angeschlagen, braucht selbst Geld – in Deutschland besteht Interesse, die MV Werften zu retten – zur Not ohne Genting, wie es aus Berlin heißt.
Retten könne die Situation nur einer: der große Mann im Hintergrund, Genting-Inhaber und Milliardär Tan Sri Lim. Man erwarte von ihm „ein Signal, dass er überhaupt noch selbst an sein Unternehmen glaubt“.
Bund fordert Sicherheit über Wert der „Global Dream“
Zudem wolle der Bund eine Sicherheit für das zu etwa 75 Prozent fertige Schiff „Global Dream“ in Wismar. Eine Bürgschaft, dass das Schiff im Falle einer Insolvenz mindestens 600 Millionen Euro wert wäre. 1,5 Milliarden soll es normalerweise bringen, wenn die Genting-Reederei „Dream Cruises“ es nach Plan übernimmt. Ein Haken: Das Schiff ist für den asiatischen Markt konzipiert, wo bis zu 10000 Passagiere an Bord gehen sollen. Woanders in der Welt gelten andere Maßstäbe, auch daher sei es schwer, neue Interessenten zu finden.
Bund und Land stehen also schon in hohem Risiko wegen der MV Werften und Genting. Das Land bürgt mittlerweile mit 301 Millionen Euro, konkret für die „Global Dream“. Käme das umstrittene Darlehen dazu, wären es in Summe 379 Millionen. Die Bürgschaft des Bundes für das Schiff liege bei 130 Millionen Euro. Alles Steuergeld, das bei Totalverlust futsch wäre.
Leser-Umfrage: Sollen die MV Werften gerettet werden?
Insgesamt summierten sich die Absicherungen und Garantien des Bundes für Projekte der MV Weften auf etwa eine Milliarde Euro, so eine Quelle. Allerdings dienten zum Beispiel Werftengrundstücke in Wismar, Warnemünde und Stralsund bereits als Sicherheit.
Insolvenz droht: MV Werften zahlen vorerst keine Löhne
Die Situation bei den von Insolvenz bedrohten MV Werften spitzt sich dramatisch zu: Die eigentlich heute fälligen Löhne wurden nicht an die Mitarbeiter ausgezahlt. Im Video: Das sagen Werften-Chef Haake und Betriebsrätin Scheel.
Von Frank Pubantz
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